Landratskandidat Uwe Rückert über Freiheit, Toleranz, Werte und Aushalten müssen; Stand: 23. Mai 2024

Das Verständnis darüber, was Freiheit bedeutet, ist sehr unterschiedlich geprägt. Unsere erlebte gesellschaftliche Freiheit ist gewissermaßen ein chaotisches System. Größtmöglicher Individualismus, Modeerscheinungen und Konkurrenz sind nur drei von viel mehr Faktoren, welche eine präzise Voraussage darüber, wohin wir uns entwickeln, nahezu unmöglich machen. Aber wir wissen, dass wir durch unsere Einflussnahme auf das aktuelle Geschehen zumindest eine gewisse Lenkungswirkung auf die gesellschaftlichen Entwicklungsprozesse ausüben.

Elementar für das funktionierende Zusammenspiel von individueller Freiheit und sozialer Friedenswahrung ist die grundsätzlich im Menschen verankerte gute Moral. Hinzu kommen Triebe und Bedürfnisse, welche nicht immer mit den uns eigenen Moralvorstellungen vereinbar sind. Hierzu zwei Beispiele, welche Menschen im Altenburger Land ganz aktuell betreffen:

Eine Band der „neuen deutschen Härte“, welche ihren Namen bewusst provokativ nach einem verheerend schlimmen Massenunglück mit 70 Toten und über 1000 Verletzten wählte, wird von ihren abertausenden Fans seit Jahren ekstatisch gefeiert. Die Fans mögen nicht nur deren harte Musik und gigantische Bühnenshows, sondern sind vor allem ganz normale Menschen mitten unter uns. Sie sorgen sich um ihre Nächsten, hegen und pflegen ihr soziales Umfeld. Sie bauen lieber auf und erhalten, als dass sie kaputtmachen und stören. In meinem Freundes- und Bekanntenkreis gibt es viele Rammstein Fans, alles gute Menschen. Und doch brechen sie aus ihren üblichen Verhaltensnormen aus, wenn sie Rammstein hören oder deren Konzerte besuchen. Rammstein ist keine x-beliebige Metalband mit dröhnend aggressiver Akustik, sondern setzt gezielt auf maximale Provokation dessen, was man unter guter Moral versteht.

Wäre es eine reale Option, dass wir einen heimischen Fußballclub „ICE Eschede“ nach dem Zugunglück von 1998 mit über 100 Toten benennen und dessen Spieler begeistert anfeuern? Wie gingen wir damit um, wenn der beste Freund eine Neigung besitzt andere Menschen zu erniedrigen und zu foltern? Was sagten wir, wenn der eigene Partner eine gewalttätig sexuelle Dominanz über viele andere Menschen ausleben will? Welche Reaktionen zeigten wir, wenn jemand einen Menschen umbringen und verzehren möchte? Im Großen und im Ganzen weisen wir derartiges ab, finden es unrecht und abstoßend; unsere gute Moral lehnt sich dagegen auf.

Aber es sind die ebengleichen Menschen mit ihren insgesamt guten Moralvorstellungen, welche mit großer Begeisterung der Band Rammstein zujubeln. Dabei genügt ein Zuhören zu deren Liedtexten und das Anschauen manches ihrer Videos, um festzustellen, dass Rammstein nahezu ununterbrochen Gewalt, Unterdrückung, sexuelle Ausbeutung, vielerlei Demütigungen, Zerstörung, Mord und Kannibalismus verherrlicht. Was ist es also, was grundsätzlich rechtschaffene, moralisch intakte Menschen so sehr an Rammstein fasziniert, dass es sie deren zerstörerisch destruktive Botschaften überhören lässt?

Seit Tagen hängen sie wieder zahlreich im Altenburger Land, die Werbeplakate für eine Ausstellung mit „Echten menschlichen Körpern“ und schon vorab der Eröffnung liest man in social media erfreute Kommentare von Leuten, welche dorthin gehen möchten. Umgekehrt sind es gerade viele Vertreter der christlichen Kirchen, welche sich seit Jahren europaweit gegen diese Inszenierungen menschlicher Körper aussprechen. Es gibt mittlerweile mehrere Ausstellungen mit plastifizierten Leichen und Leichenteilen, welche ihre Exponate einer breiten Öffentlichkeit anbieten.

Geht man ohne Vorverdacht davon aus, dass alle dort ausgestellten Toten zu Lebzeiten ihr Einverständnis gaben als „Kunstobjekt“ aufgeschnitten und in teilweise zumindest irritierender Dauerpose präsentiert zu werden, wäre deren Wille zumindest umgesetzt. Trotzdem gibt längst nicht jede Kommune zu dieser Ausstellung ihr Einverständnis. Grundlage ist dabei nicht einmal ausschließlich die gute Moral, sondern ebenfalls geltendes Gesetz und die Beachtung der Totenruhe.

Problematisch wird es nochmal mit Blick in das Thüringer Bestattungsgesetz sowie die Bestattungsordnung der Stadt Altenburg. Nur auszugsweise und sicher noch weiter zu ergänzen gilt: Ein Verstorbener muss spätesten zehn Tage nach Todeseintritt bestattet werden. Anatomische Sektion darf nur in anatomischen Instituten zum Zweck der Lehre und Forschung für Angehörige medizinischer und naturwissenschaftlicher Berufe erfolgen, bzw. im Rahmen der kriminalistischen Feststellung einer Todesursache. Sobald der Zweck der anatomischen Sektion erfüllt ist, muss die Leiche bestattet werden. Die Öffentlichkeit ist auszuschließen.

Grundsätzlich bestimmen wir in jeglicher Hinsicht selbst über unseren Körper. Rauchen wir, trinken wir Alkohol, treiben wir Sport etc. Selbst der Freitod steht uns als Wahlmöglichkeit frei. Bewegen wir uns aber noch im Bereich moralisch vertretbarer Freiheit, wenn wir aufgeschnittene Tote einem medizinisch laienhaften Publikum präsentieren? Leichterdings könnte der menschliche Körper heute aus Kunststoff oder digital komplett nachgebildet werden. Die Werbung für die anstehende Veranstaltung sagt auch nicht „medizinisch wertvoll“ oder „künstlerisch ästhetisch ansprechend“, dafür aber sehr reißerisch „Echte menschliche Körper“. Wer sich das nun ansehen möchte, dem empfehle ich sich selbst folgende Fragen zu stellen: Warum will ich mir das ansehen? Ist es tatsächliches Interesse an der menschlichen Anatomie oder mehr Sensationslust?

Wollen wir individuell größtmögliche Freiheit haben und dabei den gesellschaftlichen Frieden bewahren, dann bedarf es eines durchzusetzenden Ordnungsrahmens aus allgemeingültigen Normen und Rechtsvorschriften. Mich verwundert, dass es sehr viele Menschen mit durchweg gutem Wohlverhalten gibt, denen Ordnung und Sicherheit sehr wichtig sind, welche aber mit Begeisterung nach Dresden zu Zerstörung und Gewalt verherrlichenden Rammstein Konzerten gefahren sind. Mich verwundert, dass der Stadtpfarrer der Altenburger Brüderkirche keinerlei Anstoß zu nehmen scheint, dass direkt neben seiner Kirche eine offenbar gesetzes- und ordnungswidrige Ausstellung mit menschlichen Körpern und Körperteilen stattfindet.

Über diese meine Verwunderung hinweg prüfe ich meinen eigenen moralischen Wertekompass und muss diesen immer wieder mal nachjustieren. Ja, es gelingt mir nicht immer Schritt zu halten mit mancher Entwicklung unserer Zeit. Mitunter sind es zu viele krasse Trends, welche in wiederum zu schneller Abfolge erscheinen; dann verliere ich den Anschluss. Manchmal aber erkenne ich ganz genau was passiert und finde dennoch absolut keinen Zugang dazu, lehne es für mich persönlich ab.

Gigantische Show und beeindruckende Klänge hin oder her; mir missfallen die Botschaften der Songs, welche alles das ausdrücken, was die absolute Mehrheit von uns im täglichen Zusammenleben berechtigt ablehnt. Ich war kein Rammstein Fan und ich werde auch keiner werden.

Sensationslust und Neugier dahingestellt; anatomisch sezierte Menschenleiber gehören ausschließlich in die medizinische Universitätsfakultät, in die Gerichtsmedizin, in Kliniken oder sonstig dafür vorgesehene Einrichtungen. Wahrscheinlich möchte keiner von uns im heimischen Wohnzimmer zwischen einer Bronzeskulptur und einem Rembrandt Gemälde noch eine plastifizierte Leiche als Kunstobjekt stehen haben. Auch hier werde ich kein Befürworter solcher Ausstellungen menschlicher Körper werden.

Aber ich werde immer ein Verfechter größtmöglicher individueller Freiheit sein. Und deshalb trete ich für die Durchsetzung eines gesamtgesellschaftlich guten Ordnungsrahmens ein. Meine Vorstellungen von (Kunst) Freiheit und von moralisch vertretbaren Werten sind mitunter einem Stresstest ausgesetzt. Es fordert erheblich meine Toleranz, aber ich halte es aus. Und meine Freunde, welche Fans von Rammstein sind und/ oder sich die Ausstellung über menschliche Anatomie an echten Toten ansehen werden, bleiben natürlich meine Freunde. Doch auch von ihnen erwarte ich, dass sie meine Meinung dazu aushalten und mir über meine deutlich formulierten Zeilen nicht die Freundschaft kündigen.

Sein wir kritisch und sprechen wir laut aus, was uns bewegt. Doch bleiben wir dabei immer tolerant; dann werden wir weiter in gutem Frieden miteinander aushalten.

Uwe Rückert