Uwe Rückert

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  • Sonne, Regen und der Duft des Lebens

Roter Regen

Ein Kapitel zwischen weiteren und zugleich der Anfang einer wahren Geschichte, die man an irgendeiner Stelle beginnen muss. Dabei sind Tatsachen so zusammengepackt, dass es erzählbar wird.

Das T-Shirt klebt am klatschnassen Körper und im Gemisch mit dem Staub, der überall in der Luft schwebt, hat sich eine schlammartige Patina gebildet. Mehrere Schweißränder bilden eine Art weißliche Landkarte auf dem Gewebe. Die Hosen sind in keinem besseren Zustand und hängen lose über die schweren Stiefel. Meine Stiefel, wie sehr ich sie schätze. Ihre Schwere und ihre Festigkeit, das dicke Leder und die enge Schnürung geben mir Halt. Mein Körper kann müde sein und erschöpft; mit meinen Stiefeln habe ich sicheren Tritt, ein Stück gefühlte Sicherheit. Es geht weiter, immer weiter und in mir streiten beständig neue Adrenalinschübe und chronische Erschöpfung miteinander…

Vorgestern noch, da war ich draußen, habe geredet, verhandelt und natürlich auch Informationen gewonnen. Draußen sein, wie fürchte ich es. Draußen sein, wie sehr sehnt es mich danach. Draußen herrscht Ungewissheit und nur wenig ist berechenbar. Aber wenn du immer draußen bist, dann wirst du selbst einer von denen da draußen. Das logische Denken wird nicht unerheblich durch Intuition ersetzt und auch die tief in uns schlummernden Instinkte werden aktiviert. Du lernst die Situation zu erspüren, dein Körpergefühl und dein mentales Empfinden lenken dich mehr als jedes antrainierte Musterverhalten aus irgendwelchen Lehrbüchern und irgendwelchen Trainings von Menschen, welche niemals in vergleichbarer Lage gewesen sind. Draußen wirst du gebraucht. Draußen sind Hilflose, Opfer und Schutzbedürftige. Draußen lauert die Gefahr zu jeder Zeit, an jedem Ort. Draußen verändert sich alles; wer heute dein Freund ist, der kann morgen dein Feind sein. Draußen ist der Tod allgegenwärtig und genau deshalb durchströmt dich das Leben umso intensiver, denn jede Minute könnte die letzte sein.

Evakuierungskonvoi in Begleitung von Force Protection.

Vorgestern: Auf geht es, nach draußen. Wir fahren raus, wieder einmal ohne den Schutz unserer Close Protection nur auf uns gestellt. Die Führung des indischen Bataillons hält die Lage für zu unberechenbar, will ihre ohnehin zu wenigen Soldaten nicht unnötig gefährden. Uns erreichende Meldungen der letzten Tage verdichten die Beurteilung, dass die Stadt bald angegriffen wird. Seit etlichen Tagen kommen immer mehr Informationen von sich formierenden Rebelleneinheiten im Süden und im Osten. Eigentlich ist die Bezeichnung Rebellen nicht korrekt. Schließlich waren es die gemeinsamen Streitkräfte dieses ostafrikanischen Staates, welche sich nach einem eskalierten Konflikt zwischen Präsident und Vizepräsident zerteilten und das Land mitsamt seinen geschätzt zwölf Millionen Einwohnern in einen blutigen Bürgerkrieg stürzten. Und beide Seiten sind nicht immer auseinanderzuhalten; zumindest dann nicht, wenn die Kämpfer aufeinandertreffen, welche vormals gemeinsam in den regulären Streitkräften waren. Zudem werden beide Seiten von zahlreichen Milizen unterstützt. Zumeist sind es Minderjährige, zugedröhnt mit Drogen und Alkohol, völlig enthemmt und nahezu unkontrollierbar. Von diesen geht die größte Gefahr aus. Ihre jungen Leben waren in dieser Welt aus Gewalt und Drogen immer ohne gute Perspektive. Diese Aussichtslosigkeit und die erfahrenen Härten machen sie selbst hart und grausam. Töten, um nicht selbst getötet zu werden. Mitgefühl und Erbarmen kennen sie nicht, haben sie selbst nie bekommen.

Wir verlassen unseren Compound zu zweit. Wir, das sind meine norwegische Kameradin und ich. Nur sehr wenige sind wir geblieben, in unserem Team von Liaison Officers. Mit Kriegsausbruch, da zogen die meisten Nationen ihre Offiziere ab. Das betraf uns und weitere vier Außenteams, verteilt auf einer Fläche von 80‘000 km2. So wie uns, so ging es auch den Polizisten. Von den zivilen Beamten und Angestellten der Vereinten Nationen, für welche wir arbeiten, sind ebenfalls ganz überwiegend nur noch die lokalen Arbeitskräfte da, während die internationalen Mitarbeiter bei erster Gelegenheit evakuiert wurden. Unser Compound liegt etwa 4km außerhalb in einer weit offenen, spärlich bewachsenen Fläche nördlich der 200‘000 Einwohner zählenden Provinzhauptstadt. Als ich hier vor eineinhalb Jahren ankam, da gab es etwa 450 Zivilisten und Soldaten in unserem Compound, dabei der Bataillonsstab und eine Infanteriekompanie des indischen Schutzbataillons, welches für die Sicherheit aller UN Mitarbeiter im gesamten riesigen Bundesstaat verantwortlich ist. Etwa 1000 Meter von unserem Compound entfernt befindet sich unmittelbar am Ufer des Weißen Nils ein kleineres, uns zugehöriges Militärcamp. Hier liegt eine nepalesische Kompanie, die neben infanteristischem Schutz zugleich die UN eigene Schiffsanlegestelle sowie die Pumpstation für unser Trink- und Brauchwasser sichert. Unser Wasser beziehen wir ausschließlich über überirdische Leitungen aus dem Weißen Nil und bereiten es innerhalb unseres Compounds mit Klär- und Filteranlagen auf; es ist ausgelegt zur Versorgung mehrerer hundert Menschen. Als der Bürgerkrieg im Dezember ausbrach, da strömten in der ersten Nacht über 20‘000 Flüchtlinge aus der Provinzhauptstadt schutzsuchend in unseren Compound. Mittlerweile und dauerhaft sind es über 40‘000 Schutzsuchende, die vor Kampf  und Terror zu uns flohen. Aber in der Stadt, da sind tausende Menschen mehr, die allein nicht rauskommen und welche sich aus Furcht vor Gewalt und Mord in verschiedenen Einrichtungen sammelten; betend, dass sie überleben. Zu diesen sind wir unterwegs und zu den Kommandeuren, um mit ihnen über Sicherheit, Versorgung und Evakuierung der Zivilbevölkerung zu verhandeln.

Es war meine bewusste Entscheidung unsere norwegische Majorin mitzunehmen. Die Kommandeure reagieren entgegenkommender auf eine Frau und einer der jungen Brigadegenerale mag sie offenbar besonders gern. Ich wiederum kenne den Korpskommandeur, der hier den Oberbefehl hat, sehr gut. Bei meiner Ankunft vor vielen Monaten, da war Johnson noch Generalmajor und Kommandeur einer Division entlang der nördlichen Staatsgrenze; dort beständig in Scharmützel mit den Streitkräften des Nachbarstaates verwickelt. Aber auch diverse Rebellengruppierungen trieben in seinem Sektor ihr Unwesen. Mehrfach war ich in seinem Verantwortungsraum auf Patrouille und mitunter fuhren bzw. flogen er und ich zusammen gemeinsame Ziele an. Das persönliche Verhältnis zwischen ihm und mir mutete für Außenstehende freundschaftlich an und in gewisser Weise war es das auch. Aber natürlich verlor ich niemals das Bewusstsein, dass er Teil einer Kriegspartei war und dass auf seinen Befehl hin unzählige Menschen ihr Leben verloren hatten. Trotzdem; mit Ausbruch dieses Bürgerkrieges kam uns diese enge Bindung zwischen ihm und mir zugute. Es gewährte mir eine Bewegungsfreiheit, wie sie kein anderer Repräsentant der UN in dieser Region genoss. Gewissermaßen stand ich unter dem persönlichen Schutz von Generalleutnant Johnson, dem Korpskommandeur über drei Divisionen.

Generalleutnant Johnson Gony Biliu, li im Bild. Rechts im schwarzen Anzug Staatspräsident Salva Kiir.

Mir war klar, wo Johnson sein Hauptquartier bezogen haben würde. Zudem deutete bereits die hohe Anzahl an besser ausgerüsteten Soldaten darauf hin, dass wir uns dem Oberkommandierenden näherten. Als ich in das Gelände der Villa am Ufer des Weißen Nil einbiege, kommen mir die Soldaten bereits entgegen. General Johnson hatte unsere Ankunft bemerkt und  bat mich zu sich. Meine norwegische Kameradin – nicht unerwartet – wird auf halben Wege von jenem einen Brigadegeneral mitgenommen und er führt sie etwas abseits, hat offenbar Freude daran sich mit ihr zu unterhalten. Gut so, sie wird von diesem Brigadegeneral weitere wertvolle Informationen gewinnen. Auf mich wartet Johnson und nach einer gewohnt herzlichen Begrüßung, beugt er sich mit mir über diverse Karten, welche auf dem Tisch vor uns ausgebreitet liegen. Dort erklärt er mir die Stellungen und Bewegungen seiner Truppen und die der aufständischen Rebellenarmee. Zahlenmäßig sind die Regierungstruppen von Johnson klar unterlegen. Viele Bataillone und teilweise ganz Brigaden sind zu den Rebellen übergelaufen. Für das Verständnis der meisten Menschen verläuft dieser Konflikt entlang von Stammeslinien und ethnischer Zugehörigkeit. Nur für die Top Politiker und Generale ist es ein Krieg um Macht, Einfluss und Reichtum; denn es geht um den Zugriff auf die einzige Möglichkeit in diesem Staat viel Geld zu verdienen. Dieser Staat besitzt gewaltige Vorkommen von Erdöl und sichert seine Einnahmen über den Verkauf desselben.

Truppenbewegung der Rebel Militia

Die Korpstruppen, welche noch loyal zu General Johnson stehen, gehören seiner Ethnie der Dinka an; zugleich die Stammesgruppe des Präsidenten. Allerdings wird die von vielen Volksstämmen bewohnte Region unseres Operationsgebietes von den zahlenmäßig weit überlegenen Stammesverbänden der Nuer dominiert. Das Dilemma von Johnson ist die geografische Lage. Im Süden und im Osten beherrschen die aufständischen Nuer das Terrain. Der Norden und der Westen bilden die Staatsgrenze zum verfeindeten Nachbarn. Hinzu kommt eine oft unüberschaubare Gemengelage etlicher Rebellenmilizen, welche mehrfach die Seiten wechseln und deshalb unberechenbar bleiben. Relevanteste Miliz ist hierbei die des Volkes der Shilluk unter Führung des berüchtigten Johnson Olony. Mehrere tausend Kämpfer führt Olony, der gleichermaßen für seine physische Robustheit und seinen Jähzorn bekannt ist. Es ist der zweitgrößte Mann, dem ich jemals begegnete; ein wahrer Riese von Statur, dem ich mit meinen 191 cm etwa bis zur Schulter reiche. Dabei wirkt er wie ein olympischer Athlet und strotzt vor Kraft; konnte wohl nur deshalb zwei für normale Menschen absolut tödliche Schussverletzungen im Nackenbereich überleben. Zur Zeit hält Olony offiziell ein Bündnis mit der Regierung und steht mit etwa 2000 Shilluk Kämpfern auf der Westseite des Weißen Nils, soll dort die Flanke von Johnsons Truppen sichern.

Bald verlassen wir das Hauptquartier von General Johnson und, vertrauend auf sein Schutzversprechen, fahren wir weiter durch die Provinzhauptstadt, in der man neben zahlreichen Uniformierten kaum Zivilisten sieht. Weiterer Zwischenstopp ist die Residenz des Gouverneurs. Ganz typisch für diesen Staat, trägt auch der Gouverneur einen hohen militärischen Rang; den eines Generalsmajors. Allerdings floh er bei Ausbruch der Kämpfe in die Hauptstadt des Landes. In den Monaten vor Kriegsbeginn war ich mehrfach in den offiziellen Räumen der Gouverneursresidenz. Vielleicht ist es symptomatisch für derartige Diktatoren, dass sie einen Drang haben ihren Reichtum dazustellen, dabei keinerlei guten Geschmack und Stil zeigen. Die Räume der palastartigen Gouverneursresidenz sind überladen mit Barock wirkendem, offensichtlich teurem Mobiliar und sonstigen Symbolen des Wohlstandes. Aber nichts passt zueinander und dieser ganze Protz wirkt mehr wie die Ausstellung in einem Geschäft für Antiquitäten und Luxusartikel, als wie die Empfangsräume des Landesherrn der Regionalregierung. Hinzu kommt der scharfe Kontrast zwischen dem Regierungssitz einerseits und den normalen Wohngebieten der Landeshauptstadt andererseits. Innerhalb der vollständig ummauerten, weitläufigen Gouverneursresidenz ist am in einer anderen, weit fortschrittlicheren und bequemeren Welt. Außerhalb dieser Mauern, im gewöhnlichen Stadtbild, wechseln massiv errichtete Häuser mit strohgedeckten Lehmhütten; fließendes Wasser gibt es ebenso wenig wie eine Abwasserkanalisation, Müllabfuhr existiert nicht und in der gesamten 200´000 Einwohnermetropole gibt es gerade einmal eine asphaltierte Straße, welche von Flughafen über die Universität direkt in die militärische Kommandobehörde des Korpsstabes führt – so zumindest das Bild aus Friedenszeiten.

Wir fahren in das weit offenstehende Tor der Gouverneursresidenz ein. Am Boden liegen die von Hunden und Vögeln angefressenen, bereits stark verwesenden Leichen der Wachmannschaft. Sie wurden von den aufständischen Rebellen niedergemetzelt, als diese in die Liegenschaft das Gouverneurs eindrangen. Überall in dem großen Gelände liegen Tote und es gleicht damit dem Bild auf den Straßen der Stadt. Wir betreten das palastartige Haus des Gouverneurs und gehen erstmals über den offiziellen Empfangsbereich hinaus weiter in die privaten Räume. Neben dem beständigen Bild von Mord und Totschlag, Verwüstung und Zerstörung, wirkt das sich uns zeigende Szenar nochmals abstrus. Marmor und edle Hölzer sind großzügig verbaut. Während die einfachen Menschen mit Kanister beladenen Eseln ihr Trink- und Brauchwasser aus dem Weißen Nil in ihre Stadthäuser und Hütten bringen müssen, finden wir im Badezimmer des Gouverneurs eine Badewanne und eine Dusche, welche keine Funktionen von Massage und Wellness vermissen lassen. Es sind Sinnbilder von Ausbeutung und gesellschaftlicher Ungleichheit. Dass der Zorn der Aufständischen sich im Regierungspalast besonders entlud, hat dann wohl mehr als nur ethnische Gründe. Mit diesen Eindrücken verlassen wir die Residenz des Gouverneurs, ohne dass wir eine lebende Menschenseele dort gefunden haben. Nun geht es dorthin, wo Menschen Schutz suchen; nächster Halt das städtische Krankenhaus.

Im Krankenhaus haben neben den dort liegenden Patienten noch etliche hundert Menschen Schutz gesucht. Die Räume reichen nicht aus, um jedem Obdach zu gewähren. Unter freiem Himmel lagern Frauen und Kinder. Es stinkt überall nach Urin und Abfall; eine Frage nur kurzer Zeit, bis hier seuchenartige Krankheiten ausbrechen. Trotzdem sind die Menschen an diesen Ort gebunden, denn das Krankenhaus gilt als einigermaßen geschützt vor der Willkür der sich bekriegenden Konfliktparteien. Aber egal wohin wir gehen und mit wem wir reden, der eklatante Mangel am Notwendigen (Trinkwasser, Nahrung, Schlafstätten) wird klar überlagert von der Angst, dass die Kämpfer den Schutzstatus des Krankenhaus ignorieren und Gewalt gegen dort Schutzsuchende anwenden. Der noch vor Ort befindliche leitende Arzt bittet uns zuerst um Abstellung von UN Schutztruppen, um das Krankenhaus militärisch gegen mögliche Angriffe zu verteidigen. Ich muss ihm mitteilen, was ich allen anderen auch sagen muss; wir haben dafür keine Kräfte verfügbar. Einzig mein Appell an die Kommandeure, welche die Stadt kontrollieren, dass man die Zivilbevölkerung schont und die entsprechenden Zufluchtsorte schützt, sind meine Möglichkeiten zu unterstützen.

Zudem handeln wir mit den militärischen Kommandeuren der Kriegsparteien immer wieder die Durchführung von Evakuierungen aus; arrangieren Konvois mit Bussen und Lastkraftwagen, um Menschen aus dem immer wieder umkämpften Stadtgebiet zu unserem etwa drei Kilometer außerhalt liegenden UN Compound zu bringen. Wir evakuieren selbst dann, wenn die Kämpfe noch immer aufflammen. Egal welche Kriegspartei gerade die Stadt erobert hat, jedes Mal folgen Säuberungsaktionen, bei denen die Wohngebiete durchkämmt und aufgefundene Zivilisten getötet werden. Die Furcht vor Heckenschützen oder Sympathisanten der Gegenseite ist bei allen Kriegsparteien gleichermaßen groß, was ein oftmals wahlloses Töten zur Folge hat. Während wir also linksseitig der Straße verängstigte Menschen aus ihren Wohnhäusern in unsere UN Fahrzeuge holen, werden rechtsseitig der Straße Menschen wahllos umgebracht; wir arbeiten im Wettlauf um Leben und Tod. Unsere freien Slots sind die Feuerpausen, wenn wir mit Unterstützung der zivilen Helfer von UN und NGOs im größeren Stil Menschen evakuieren können. Und hierbei verlassen sich die zivilen Hilfsorganisationen in Gänze auf unsere Lagebeurteilung, ob deren humanitäre Arbeit im Stadtgebiet ohne Gefährdung durch Beschuss oder sonstige Angriffe möglich ist. Eine nahezu unmögliche Aufgabe, hierfür absolute Gewissheit zu erlangen. Und trotz meines umfassenden Netzwerkes über Satellitentelefon und unmittelbare Kommunikation mit dem Befehlshabern der Konfliktparteien, bleibt es abschließend jeden Austauschs immer meine ganz persönliche Bewertung, wie vertrauenswürdig eine zugesagte Feuerpause wirklich ist. Gebe ich aufgrund meiner Funktion die Empfehlung für eine humanitäre Operation unserer zivilen Mitarbeiter im Kampfgebiet, dann folgt das nicht ausschließlich einer absoluten Faktenlage, sondern ebenso meiner auf Erfahrung beruhenden Perzeption der Lage. Mitunter lag ich daneben, wurde durch Befehlshaber der Konfliktparteien bewusst falsch informiert (das in einem anderen Kapitel folgend) und daraus entstandene Folgen lastete ich mir immer persönlich an.

Vom Krankenhaus fahren wir weiter zur Presbyterianischen Kirche, hinter deren Mauern ebenfalls hunderte Menschen vor dem Kämpfen flohen. Das wird nach sechs Monaten intensiven Kriegsgeschehens und im Augenblick meines Abflugs zurück nach Deutschland der einzige Ort in der Provinzhauptstadt sein, an welchem dort Schutzsuchende von unmittelbarer Gewalteinwirkung unbehelligt blieben. Ob das in den folgenden langen Monaten dieses Krieges so blieb, entzieht sich meiner Kenntnis. Nach der Presbyterianischen Kirche steuern wir die Katholische Kathedrale an. Nur 50 Meter vom Eingang entfernt liegt seit Tagen der Korpus eines Mannes; keiner entfernt ihn und auch hier setzen Aasfresser und die afrikanische Sonne dem Leichnam zu. Wird nicht geschossen, wagen sich einige Menschen aus dem Schutz der Kathedrale und suchen in der Umgebung nach Brauchbarem/ Essbarem. Aber keiner bringt Kraft und Willen auf diesen und die zahlreich weiteren Toten von den Straßen zu entfernen und zu bestatten. Auch wir, von der UN, können das nicht überall leisten. Allein im unmittelbaren Umfeld unseres Compound haben wir nahezu täglich zu tun die Toten einzusammeln, zu registrieren und zu bestatten. Hier sind wir nun in der katholischen Kathedrale am zugleich größten innerstädtischen Fluchtort mit etwa 5`000 schutzsuchenden Menschen. Empfangen werden wir von Pater Angelo, der sich mit sehr wenigen weiteren Helfern und aller ihm verbliebenen Kraft für die Flüchtlinge einsetzt. Und wiederum fleht auch er uns an, dass wir mit unserer militärischen Präsenz die Flüchtlinge und die Kathedrale vor gewaltsamen Übergriffen der Kämpfer schützen. Auch ihm muss ich zum wiederholten Mal eine ablehnende Antwort geben und dabei krampfen sich mir Herz und Magen zusammen; die eklatante Bedrohungslage für diese vielen Zivilisten springt mich förmlich an.

Die meisten Wohngebiete sind in der Folge mehrerer Angriffe restlos zerstört

Der Nachmittag ist fortgeschritten; von einsetzender Dämmerung bis zum Sonnenuntergang geht es hier in Äquatornähe rasant schnell. Schon in Friedenszeiten ist es nicht weise, hält man sich nach Sonnenuntergang außerhalb des UN Compounds auf. Auf dem Weg zurück in unser Compound fahren wir entlang der nördlichen Stadtbegrenzung. Hier erstreckt sich ein endlos langgezogener Wall in einer durchgängigen Höhe von zwei bis drei Metern. Dicht an dicht drängen sich viele hundert Soldaten der Regierungstruppen. Vereinzelt sehe ich Kampfpanzer und noch mehr Feldhaubitzen in Stellung stehen. Mir scheint dieser Bereich uneinnehmbar und auch aus den Gesichtern der hier eingesetzten Soldaten spricht Selbstvertrauen. Es sind meinem Erkennen nach durchweg ausgewachsene, zumeist große und starke Männer. Jeder trägt mindestens ein Kalaschnikow Sturmgewehr, aber auch Panzerfäuste und schwere Maschinengewehre nehme ich wahr. Weil ich die Stadt und das umliegende Gelände gut kenne, weiß ich, dass hier furchtbare Ernte an Menschenleben gehalten werden wird. Nirgendwo ist die Provinzhauptstadt besser angreifbar, als hier vom Norden her, wo weit offenes, extrem flaches Land einen schnellen und großangelegten Angriff begünstigt. Darum sind an dieser Seite auch die Verteidigungsanlagen am besten ausgebaut. Greifen die zahlenmäßig überlegenen Rebellen an, dann von allen Seiten und auch vom jenseitigen Flussufer. Aber der Angriffsschwerpunkt wird genau hier liegen, im Norden. Für unser UN Compound ist das von großem Nachteil.

Erst wenige Jahre ist es her, da wurde das UN Compound aus Sicherheitsgründen vom Stadtinneren nach außen verlegt. Die Straße, welche das UN Compound mit der Provinzhauptstadt verbindet, führt zugleich zum Flughafen, welcher durch die UN und die staatlich zivile Seite gleichermaßen genutzt wird. Der Flughafen liegt damit inmitten zweier Hauptverkehrsachsen, dem Weißen Nil auf der einen und die Straße von der Provinzhauptstadt, am UN Compound vorbei nach Norden führend andererseits. Das offene, gut einsehbare Gelände bedeutet zu Friedenszeiten einen deutlich erhöhten Schutz für dort einquartierte und arbeitende UN Offices. In diesen Kriegszeiten jedoch wird ein dort mittig liegendes Camp zur unmittelbaren Zielscheibe jeden Angriffs gegen die Stadt. Auf engstem Raum haben wir zu diesem kritischen Zeitpunkt über 40`000 Flüchtlinge in unserem für wenige hundert UN Mitarbeiter und Blauhelme ausgelegtem Compound. Bei jedem bisherigen Angriff verloren wir Menschenleben und hatten noch mehr Verwundete zu beklagen, denn mit Absicht oder als Querschläger erhielten wir immer wieder Artillerie und Mörserfeuer. Die um uns herum kämpfenden Kriegsparteien schossen natürlich auch mit Kleinkaliber auf uns. Es gibt wohl keinen Arbeits- oder Bürocontainer mehr, welcher nicht mindestens von Gewehrschüssen getroffen ist. Und weil unsere UN Friedensmission niemals für einen Kriegsfall diesen Ausmaßes angedacht war, haben wir auch keine gehärteten Container, sondern nur leichtestes Material. Lediglich für unsere zivilen UN Mitarbeiter gibt es wenige, bunkerartige Tiefbauten, in welchen sie bei Angriffsalarm Zuflucht suchen.

Über 40`000 Flüchtlinge auf engstem Raum zusammengepfercht in einem Lager, ausgelegt als Arbeits- und Wohnbereich für 450 Menschen

Bei einsetzenden Kampfhandlungen sind wir Militärs enorm unter Druck. Nicht nur die sich bekämpfenden Gruppierungen entfalten ihre Feuergefechte rund um unser Lager und mitten durch uns hindurch; auch bei unseren lokalen Zivilmitarbeitern entbrennt leicht Zorn und Kampfeslust untereinander, sind diese doch ebenfalls ethnisch durchmischt und ergreifen deshalb Partei für die eine oder andere Seite. Aber die mit Abstand größte interne Gefahr besteht bei den über 40`000 Flüchtlingen im Inneren unseres Compounds. Hier finden sich auch zahlreich junge Männer verschiedenster Stämme und Clans, die miteinander rivalisieren. Tobt draußen das Gefecht und wissen diese Flüchtlinge uns in der Verteidigung des Lagers gebunden, dann nutzen das etliche aus, um mit brutaler Gewalt gegen andere Flüchtlinge vorzugehen; Mord, Vergewaltigung und Raub bestimmen in diesen Tagen das Geschehen bei den uns schutzbefohlenen Flüchtlingen. Erst nach etlichen Wochen traf eine Hundertschaft Militärpolizei aus Bagladesch ein, welche bis dahin im benachbarten Zentralafrika stationiert war. Zudem gelang es über monatelang harte Arbeit und immer bedroht durch mögliche Feuerüberfälle, ein weiteres Außenlager abzugrenzen und mit mehreren hundert Zelten auszustatten, in dem die Flüchtlinge untergebracht werden konnten. Bis dahin aber mussten wir unser Lager robust gegen äußere Feindeinwirkung verteidigen und zugleich die reale innere Bedrohung unter Kontrolle halten. Mit nur zwei Infanteriekompanien, verteilt über zwei Lager und unter diesem Umständen, beinahe eine Mission Impossible. In diesen Monaten gewannen die indischen und nepalesischen Infanteriesoldaten meinen großen Respekt. Es machte aber auch klar, warum wir keinesfalls in der Lage waren noch weitere robuste Kräfte in die Flüchtlings-Hotspots der Provinzhauptstadt (Krankenhaus und Kirchen) zum Schutz dortiger Zivilisten abzustellen.

Gruppe regierungstreuer Soldaten

Als wir unseren Compound erreichen, da ist es mir aufgrund des Gesehenen unvorstellbar, dass auch eine mehrere tausend Kämpfer zählende Rebellenstreitmacht in der Lage sein sollte, die Regierungstruppen von General Johnson zu schlagen und aus der Stadt zu werfen. Es ist bereits dunkel, als ich zum täglichen Security Meeting in das Office unserer zivilen UN Chefin eile. Die UN haben quasi eine Parallelstruktur zur staatlichen Gliederung in zehn Bundesstaaten übernommen und sich ebenfalls mit zehn Sector Headquarters in bzw.  an die regionalen Provinzhauptstädte der zehn Bundesstaaten angebunden. Daneben unterhalten die UN weitere Compounds in etlichen relevanten Regionen des Staates, welches den Sector Headquarters untergeordnet sind. In unserem Bundesstaat haben wir neben unseren Sector Heaquarters noch sechs weitere UN Camps; in fünf davon haben wir noch weitere Teams von Verbindungsoffizieren. Meine Aufgabe als Chief of Operations für das militärische Verbindungswesen ist neben dem unmittelbaren Verbindungshalten zu den sich bekämpfenden Konfliktparteien auch die Führung aller sechs Teams von Verbindungsoffizieren. In dieser Funktion bin ich einer der ersten Ansprechpartner und fester Teil jedes Security Meetings, briefe täglich auch die NGOs und sonstigen Vertreter humanitärer Hilfsorganisationen,  um sie für ihre Einsätze hinsichtlich der aktuellen Sicherheitslage zu beraten.

Unsere zivile UN Chefin, unser Head of Office, ist US-Amerikanerin und seit Jahrzehnten in leitender Position in verschiedensten Field Missions eingesetzt. Die für sie empfundene Bewunderung sollte sich über alle kommenden Jahre hinweg erhalten. Neben ihrer immensen Erfahrung und ihrer großen Klugheit besitzt diese Frau das Herz einer Löwin und ich traf nur wenige weitere, deren Mut und Courage dem unserer Chefin gleichkam. Bei all dem bestand unser beratender Sicherheitskreis aus dem zivilem UN Sicherheitsdienst, Polizeivertretern sowie dem Kommandeur des indischen Bataillons und mir als Militärangehörige. Als letzter stoße ich zur abendlichen Beratung hinzu und lasse zuerst die Rollläden herunter. Das hellerleuchtete Büro unserer Chefin liegt unweit der äußeren Lagergrenze; eine geborstene Fensterscheibe und mehrere Einschusslöcher zeigen deutlich, dass man für jeden Schützen in der Dunkelheit ein leicht zu treffendes Ziel abgeben würde. Die Betroffenheit steht in den Gesichtern der weiteren Beratungsteilnehmer, als sie bemerken welcher unnötigen Gefahr sie sich ausgesetzt haben. Wir beraten zum erwarteten Angriff und jeder weiß um seine Verantwortlichkeiten im Lager, sobald das Gefecht beginnt. Ein Konflikt bleibt vorerst ungelöst. Seit Beginn des Krieges haben wir hunderte Gewehre und andere Waffen eingesammelt, welche wir von Gefallenen stammten oder weggeworfen wurden. Sowohl die Streitkräfte des Präsidenten als auch die aufständischen Rebellenverbände forderten seit Wochen die Herausgabe dieser Waffen ein; drohten mit der Erstürmung unseres Lagers, wenn wir dieser Forderung nicht entsprechen.

von links: Sanitärcontainer, Wohncontainer und Bürocontainer mit Einschusslöchern

Obwohl ich ihn um seiner Tapferkeit und seiner persönlich angenehmen Wesensart mag, nervt mich die überhebliche Rhetorik des indischen Kommandeurs. Vollmundig (großspurig) erklärt er, dass er unser Lager bis zum letzten Soldaten und Blutstropfen verteidigen wird,  sollte eine der Konfliktparteien uns angreifen und überrennen. Er hat gewiss recht, dass seine und die nepalesischen Soldaten sehr diszipliniert und kampfstark sind. Aber diese zwei Kompanien können nicht gegen den Angriff mehrerer tausend todesverachtender Kämpfer bestehen und wir tragen Verantwortung für hunderte zivile Mitarbeiter und Helfer sowie über 40`000 zivile Flüchtlinge. Als das Meeting beendet ist, verbleiben die Head of Office und ich allein in ihrem Büro. Sie möchte wissen, warum ich dem indischen Kommandeur widersprach. Sie setzt sich ebenfalls dafür ein, dass alle eingesammelten Waffen zerstört werden sollen und damit keiner der rivalisierenden Konfliktparteien mehr brauchbar in die Hände fallen können. Hier argumentiere ich dagegen, dass diese Waffen Eigentum der Landesregierung wären und mein Rechtsverständnis sagt, dass wir diese nach Beendigung des Konfliktes an die staatlichen Streitkräfte zurückgeben müssten. Würde bekannt, dass wir diese Waffen unbrauchbar machen, könnte uns das die erklärte Feindschaft der Regierung und der offiziellen Streitkräfte zuziehen; wissend, dass anders zu unserem Rebellen dominierten Bundesstaat in den meisten anderen Landesteilen die regierungstreuen Kräfte die Oberhand haben. Es ist nun ein offener Streit zwischen meiner Chefin und mir, sie stampft mit dem Fuß und schreit mich an, ich reagiere lautstark; unserer Freundschaft und unserem gegenseitigen Vertrauen tut das keinen Abbruch, wir können uns blind aufeinander verlassen.

Es gibt mindestens soviel Handfeuerwaffen wie Einwohner und die Prolieferation reißt nicht ab

Erschöpft und trotzdem angespannt, bringe ich noch das abendliche Briefing für die humanitären Helfer hinter mich. Nein, auf keinen Fall dürfen sie unser Compound verlassen. Auf jeden Fall sollen sie ihre Schutzwesten bereithalten und vorbereitet sein bei Alarm in die befestigten Unterstände zu gehen. Die Ärzte und Sanitäter wiederum sollten sich auf ihren Einsatz vorbereiten, es wird viel Arbeit geben. Danach begebe ich mich in meinen Wohnbereich und bespreche mich mit meinem Team. Es ist gewiss keine Routine, aber wir wissen was kommt. Und sobald die Schlacht tobt, werden Kämpfer beider Seiten versuchen ihr Leben durch Flucht in unser Lager zu retten. Wir wissen auch, dass das nicht gelingen wird, denn fünffach verlegtes Barbed Wire überspringt keiner. Wir wissen, dass wir nach der Schlacht wieder zahlreich Tote aus den Stacheldrahtverhauen schneiden und bestatten müssen. Aber wissen auch, dass unsere erste Pflicht darin besteht die uns im Compound anvertrauten Zivilisten am Leben zu halten. Mit diesem Wissen und der daraus resultierenden erklärlichen Unruhe versuchen wir dennoch etwas Schlaf zu finden; die Müdigkeit fordert selbst unter diesen Umständen irgendwann ihr Recht ein.

Bestmögliche Registrierung der getöteten Kämpfer, um Nachweise vor der Bestattung zu schaffen

Gestern: Um 04:30 Uhr ertönt der Alarm. Alles „Standard“ und doch wird dieser Tag vollkommen anders als erwartet. Standard, weil weder die Regierungstruppen noch die Rebellen über Nachtkampffähigkeit verfügen. Ein Angriffsbeginn im ersten Morgengrauen ist ebenso normal wie das Hinziehen der Gefechte bis in die Abenddämmerung hinein. Mit Kriegsausbruch haben viele, vorwiegend westliche Nationen, ihre Verbindungsoffiziere aus dem Land evakuiert. Aber gerade jetzt, wenn die Lage am meisten fordernd ist, wären sie absolut notwendig. Doch gab es eine Ausnahme, denn vor drei Tagen traf ein schwedischer Offizier ein, um unser Team zu verstärken. Ein Funkspruch von mir und routiniert sammeln wir wenige uns an unserem Office. Ruckzuck geht die Einteilung; zwei Mann zum Haupttor, zwei Mann zum Nebentor, zwei weitere zu den indischen Soldaten zum Ort des hauptsächlich erwarteten Angriffs, die norwegische Frau Major – wie immer bei Beschuss – bei den Flüchtlingsfrauen, um dort von Querschlägern getroffene zur Sanitätsstation zu bringen, einer verbleibt im Office und hält die Verbindung zum Militärischen UN Hauptquartier, ich bleibe freibeweglich und befinde mich annehmbar im Schwerpunkt. Wo zum Teufel ist der neue Schwede? Auf unserem internen Funkkreis antwortet er nicht. Hat er nicht aufgepasst? Die Instruktionen waren glasklar. Ich rufe ihn auf dem offenen Funkkreis, welchen auch unsere zivilen Mitarbeiter nutzen und über den wir alarmieren. Jetzt endlich meldet sich der Schwede. „Wo bist du?“ frage ich energisch. „Im Bunker.“ antwortet er mir. „Verdammt, im Bunker sind die Zivilisten; bewege dich schleunigst zu uns und nimm deinen Platz in der Verteidigung und Versorgung der Flüchtlinge ein.“ fahre ich ihn unsanft an. Es wird heute nicht das einzige Mal sein, dass ich überreagiere. Später wird der Schwede mir vorwerfen, dass ich ihn mit meinem Spruch im offenen Funkkreis vor allen zivilen Mitarbeitern bloßgestellt habe. Damit hat er dann Recht, aber wir sind in einer Kampfhandlung und wir haben einen Auftrag eben jene Zivilisten zu schützen; damit wiederum habe ich recht. Kurz darauf befinde ich mich mit anderen Kameraden in Deckung hinter einem Hesco Bag, während von außen mit Kleinkaliber auf uns geschossen wird. An meinem Gürtel ist das Dect Phone aus meinem Office befestigt, weil ich durchweg erreichbar bleiben will. Es klingelt. Am anderen Ende ein Personaloffizier aus dem Militärischen UN Hauptquartier in der Hauptstadt. Er moniert, dass ich ihm nicht pünktlich die aktuelle Tagesstärke in unseren Teams gemeldet habe. Ich erkläre ihm, dass wir unter Feuer liegen und um unser Compound herum ein schweres Gefecht tobt. Der Typ versteht nicht, fordert wiederum von mir die umgehende Meldung der Tagesstärke. Ich rufe ihm eine Unfreundlichkeit durchs Telefon zu und beende das Gespräch.

Die Schlacht des heutigen Tages verläuft gnadenlos und brutal. Zur Überraschung nicht nur von uns UN Militärs, sondern offenbar auch vom regierungstreuen General Johnson Gony, wurde die Provinzhauptstadt von zwei starken Rebellenarmeen zugleich und gut orchestriert angegriffen. Während der regionale Rebellenführer Gathouth Gatkouth mit ca. 5`000 Aufständischen, dabei die wegen ihrer rücksichtslosen Unbarmherzigkeit berühmt-berüchtigte White Army der Nuer Jugend, aus Norden, Osten und Süden angriff; schlug Rebellengeneral Gatwech Chan „Tanginye“ aus Westen zu. Überraschend war das, weil der bei Nuer Rebellen ebenfalls hoch angesehene  General „Tanginye“, erst kurz zuvor aus staatlicher Haft entlassen, eine mehrere tausend Mann starke Rebel Militia unweit der Hauptstadt formierte und mit dieser über mehrere hundert Kilometer Fußmarsch vom tiefen Süden des Landes entlang des Weißen Nils bis zu uns in den hohen Norden durchgebrochen war. Dabei hatte seine Gruppierung mehrere Linien und Stützpunkte der staatlichen Militärs überwunden und erst wenige Trage zuvor eine dem Präsidenten treu ergebene Brigade etwa zwei Tagesmärsche westlich von uns besiegt. Es ist eine unglaubliche physische und mentale Leistung dieser zähen und an Entbehrungen gewöhnten Menschen, dass sie nach diesem langen Marsch und den vielen Kämpfen auch noch in diese opferreiche Feldschlacht ziehen. Es macht aber auch deutlich, mit welcher Todesverachtung und dem eigenen Leben keinen hohen Stellenwert gebend, diese Kämpfer vorgehen.

Rebel Forces haben die Stadt übernommen und plündern was noch brauchbar erscheint

Das unmöglich Geglaubte geschieht; die präsidententreuen Truppen des Korpskommandeurs Johnson Gony mit ihrer schweren Bewaffnung werden aus ihren gut ausgebauten Stellungen geworfen. Unmittelbar vor unseren Augen jagen die Rebellenkommandeure zuerst die unter Drogen gesetzten, aufgeputschten Nuer Jugendlichen der White Army ins Feuer; setzen erst dann ihre gut trainierten Truppenverbände ein, welche vormals in der regulären Armee dienend zum aufständischen Vize-Präsidenten überliefen. Während all dem liegt die Stadt unter schwerem Artillerie- und Mörserfeuer. General Johnsons verbliebene Regierungstruppen brechen nach Norden durch; Ziel sind dort liegenden Erdölfelder, welche zu sichern der wichtigste Auftrag des Präsidenten an seinen regionalen Befehlshaber ist. Bis weit in den Abend hinein hören wir immer wieder Gewehrschüsse aus der Stadt. Die Rebellen durchkämmen die Wohnhäuser auf der Suche nach zurückgelassenen Soldaten der Regierungstruppen und nach möglichen Heckenschützen. Um unser Compound herum liegen unzählige Tote auf dem Feld; niedergemäht durch Maschinengewehre der stark verschanzten Regierungstruppen. Am folgenden Tag werden weitere zahllos Getötete gefunden werden; es sind die erschossenen und erschlagenen Regierungssoldaten, deren Stellungen von zugekifften und betrunkenen White Army Jugendlichen und Rebellentruppen überrannt wurden. Wie bei allen Angriffen zuvor haben etliche Kämpfer ihr Heil auch in der Flucht gesucht; starben beim Versuch die unser Lager umgebenden S-Draht-Sperren zu überwinden, wo sie von ihren Feinden niedergeschossen wurden. Unsere kleine Klinik im UN Compound ist von außen durch Verwundete belagert. Die Ärzte und Sanitäter kommen mit der Versorgung nicht hinterher. Es fehlt an allem und weder Medizin noch Verbandmaterial ist ansatzweise genügend vorrätig. Meine norwegische Kameradin hat während der Gefechte verwundete Frauen und Kinder auf ihrem Rücken aus der Menschenmenge getragen, sie ist nervlich stark gezeichnet.

Mit dem Abklingen der Kampfhandlungen planen wir mit unserer Head of Office das weitere Vorgehen. Die Trinkwasserleitungen sind wieder zerstört und immer wieder verweigern uns die jeweilig Kontrolle ausübenden Kriegsparteien den Zugang zum Nilwasser. Sie wollen uns zwingen, dass wir aufgrund von Durst und Hunger die zivilen Flüchtlingen aus dem Schutz unseres Lagers entlassen müssen. Sie wollen auch, dass wir unser ohnehin ungenügendes Trinkwasser ihnen, den Kämpfern, geben, weshalb sie kontinuierlich unsere Wasserleitungen vom Nil zum Camp zerstören und den Einsatz unserer Transport LKW mit Wassertanks unter Gewaltandrohungen verhindern. Und die vorläufig neuen Herren der Provinzhauptstadt verlangen unter Drohungen natürlich auch die Herausgabe der von uns eingesammelten und unter Verschluss gehaltenen Waffen. Auch im Weißen Nil treiben viele Leichen im Strom des Wasser nach Norden; vorbei an unseren nepalesischen Soldaten, welche tapfer ihr wesentlich kleineres Camp während der Kämpfe verteidigten. Nach jedem Gefecht wird unsere Lage mehr kritisch. Jetzt haben wir kein Trinkwasser mehr und diese Situation wird etwa drei Wochen anhalten. Ich selbst besitze einen Katadyn Filter, der mir erlaubt für den Eigengebrauch Wasser aufzubereiten. Mein freundschaftliches Verhältnis zum indischen Bataillonskommandeur verschafft mir zudem Zugang zu zwei Litern Trinkwasser pro Tag, weil das Bataillon für seine Soldaten eine separate Trinkwasseraufbereitungsanlage unterhält. Dieses mir gewährte Privileg hilft meinen unmittelbaren Wohnnachbarn, welchen ich im geringen Maße von meinem Trinkwasser abgeben kann. Solches Glück haben die meisten nicht und trinken verunreinigtes Wasser. Unter den Flüchtlingen, aber auch unter dem UN Personal wird es in der Folge zu schweren Fällen von Cholera kommen.

Heute: Nun fahre ich hinaus und treffe erstmals persönlich auf den berühmten Rebellengeneral „Tanginye“. Überall, wo ich meinem Nissan Patrol entlangfahre, liegen Leichen herum. Grauenvoll ist der Anblick auf die Stellungen der Regierungstruppen. Wer nicht entkommen konnte, wurde von den Rebellen an Ort und Stelle erschlagen. Mir läuft es eiskalt den Rücken herunter, wenn ich an den siegestrunkenen Rebellen vorbeifahre. Mehrfach werde ich am Weiterfahren gehindert, umringt und dabei schießen diese zugedröhnten Halbstarken wild um sich. Ich muss gute Miene zur bösen Situation machen. Ein Oberst der Rebellen wird geholt und er erkennt mich freudig. Zu Friedenszeiten war er eine Art ziviler Sekretär beim Gouverneur. Damals waren wir uns auch mehrfach freundlich begegnet und er erinnert sich daran. Merklich hat er keine Kontrolle über die von ihm geführte Gruppe der meist sehr jugendlich wirkenden Kämpfer. Und gleichsam merklich stehe fast alle unter starkem Drogen- und Alkoholeinfluss. Doch genügt seine Amtsautorität, dass ich bis General „Tanginye“ durchgelassen werde. Ihm und seinem Stab sehe ich die Auszehrung an. Einer seiner Kommandeure fragt mich heimlich nach Zucker. Mir geht es darum, dass die tausenden Flüchtlinge innerhalb der Stadt in ihren leidlich schutzbietenden Pockets (Krankenhaus, Kirchen und Kathedrale) unbeschadet bleiben. Mir geht es weiterhin darum, dass unser UN Compound nicht weiter angegriffen wird, dass man keine weiteren Drohungen gegen uns und die bei uns Schutz findenden Flüchtlinge ausspricht und dass wir unverzüglich wieder ungehindert Zugang zum Wasser des Weißen Nils haben. Zudem frage ich nach sicherer Passage von UN Flugzeugen, sofern die Runway nicht durch Beschuss zu stark beschädigt worden ist; hier steht ein Assessment unseres Fachpersonals vor Ort an, für welches ich deren Sicherheit garantiert haben möchte. Ansonsten gibt es wenig, was die Rebellen uns geben könnten. Die Lagerhäuser von WFP und anderen Agencies wurden direkt zu Kriegsbeginn aufgebrochen und restlos ausgeraubt.

Zerstörte Warehouses verschiedener Organisationen, aus denen man sämtliche humanitären Hilfsgüter geplündert hat

Die Verhandlung zieht sich über etwa 60 Minuten hin und es ist meinem Empfinden nach eine schwersten, welche ich in insgesamt dreieinhalb Jahren Afrika-Einsatz zu führen habe. Dabei erinnere ich mich an viele Begebenheiten. Einmal verhandelte ich mit einem Bataillonskommandeur der Rebellenarmee und wir erzielten eine positive Übereinkunft. Am Folgetag wollte ich ihn aufsuchen und hatte dazu unsere amtierende Leiterin des zivilen UN Sicherheitsdienstes (Department for Safety and Security) dabei. Als  wir im Bataillonsgefechtsstand ankamen, da war der Kommandeur tot; von seinem eigenen Leibwächter erschossen. Andermal wurde ich von einem älteren bewaffneten und offenkundig schwer alkoholisierten Kämpfer zu einem Gespräch genötigt. Die Situation hatte etwas skurril Komisches an sich, denn der alte Milizionär glaubte, er sei Bill Clinton und wollte mit mir einen Staatsvertrag aushandeln. Trotzdem gab es dabei absolut nichts Lächerliches, denn der Mann richtete bei diesem teils aggressiv geführten Gespräch mehrfach seine Waffe auf mich Unbewaffneten und zwang mich auf einen Sitzplatz, unter dem eine frische Babyleiche lag. Erst nachdem ich ihm versprach die Vertragsunterlagen aufzusetzen und ihm zur Unterzeichnung vorzulegen, war er zufrieden und ließ mich ziehen.

Mit Rebellengeneral „Tanginye“ wiederum werde ich einig und er macht mir viele Zugeständnisse unter der Auflage, dass wir als UN eine absolute Neutralität bewahren und keinesfalls irgendwelche Unternehmungen zugunsten der Regierungspartei unterstützten. Das kann ich ihm guten Gewissens zusagen und obwohl ich ihm und seiner Miliz jetzt das erste Mal überhaupt begegne, spüre ich eine Art Sympathie bei ihm für mich und meine Art des respektvollen Umgangs mit ihm. Zuhilfe kommt mir sicherlich auch, dass seine völlig erschöpfte Streitmacht binnen weniger Tage zwei große Siege über starke Truppenverbände der Regierung erzielte und deshalb eine positiv hoffnungsvolle Erwartungshaltung auf Seiten der Rebellen besteht. Trotzdem und unter Einbezug der Geschehnisse in den zurückliegenden Tagen, bin ich nach dieser Verhandlungsführung mental und physisch derart erschöpft, als hätte ich einen Tag hindurch körperlich sehr hart gearbeitet. Mit meiner Rückkehr in unser UN Compound ergibt sich ein weiteres Problem.

In Sichtweite der indischen Wachposten auf dem Turm am Nebentor hat sich eine Gruppe Männer ins Gebüsch geschlagen. Unser UN Personal muss nach draußen, das Gelände um unser Lager herum von den Toten beräumen und irgendwann auch weiterbauen am Außencamp, in welches die Flüchtlinge umgelagert werden sollen. Doch solange diese Gruppe Männer in der Deckung jener Buschgruppe liegt, solange wird kein ziviler Mitarbeit unseren Compound verlassen. Zum Nebentor gerufen sondiere ich die Lage und finde keinen besseren Ansatz, als mit diesen Männern zu reden; welche Absicht verfolgen sie und warum bleiben sie in einer Entfernung von ca. 200 Metern vor unserem Lager in einem Gebüsch versteckt? Ich weiß nicht, ob diese Leute zu den siegreichen Rebellen gehören oder zu den unterlegenen Regierungstruppen, welche sich dort verstecken? Möglicherweise sind es Milizen einer dritten Fraktion und bestenfalls sind es flüchtende Zivilisten, die nicht wissen, wie sie uns um Schutz anfragen. Ich kündige an hinauszugehen und mein junger neuseeländischer Kamerad will mich begleiten. Mir gibt es die notwendige Courage und unter der Überwachung der indischen Posten sowie meinen neuseeländischen Major an der Seite geht es langsam und friedlich, aber stetig unbeirrt auf die versteckt lagernde Gruppe Männer zu. Erkennbar sind wir unbewaffnet und tragen nur Schutzweste und Helm. Persönlich finde ich es schon immer blödsinnig, wenn wir Verbindungsoffiziere allein oder zu wenigen uns mit unseren Handwaffen inmitten von großer Gruppen von Kämpfern begeben. Meine ganz persönliche Erfahrung ist, dass ich als Offizier einen Grundrespekt von denen bekomme, mit denen ich verhandle. Aber dass das Tragen einer Handwaffe in Verhandlungssituationen zu keinerlei Vorteil führt; zumal man diese immer abgenommen bekommt, bevor man mit dem jeweiligen Befehlshaber zusammentrifft.

Laufen zwei unbewaffnete Verbindungsoffiziere in einem Kriegsgebiet, in welchem Stunden zuvor ein erbitterter Kampf tobte, auf eine Gruppe bewaffneter Unbekannter zu, um deren Identität und Absichten festzustellen, dann können zweihundert Meter eine wahnsinnig lange Strecke sein. Wahrscheinlich hören mein neuseeländischer Kamerad und ich gegenseitig unsere Herzen immer lauter schlagen, desto mehr wir uns von unserem Lager entfernen und uns der Gruppe Fremder nähern. Diese erkennen uns als unbewaffnet und erklären auf unser höfliches Nachfragen, dass sie durchaus zu den Rebellenmilizen gehören, sich ansonsten nichts weiter bei der Wahl ihres Lagerplatzes gedacht haben. Wir erklären wiederum freundlich das Hemmnis für uns und unsere Mitarbeiter, welche sich im Beisein einer Kämpfergruppe nicht frei und sicher bewegen können; bitten höflich darum, dass die Männer ihren Lagerplatz in deutlich größere Entfernung zu unserem Compound finden möchten. Sie kommen unserem Wunsch nach und wir trennen uns im Guten. Alsbald beginnen unsere Arbeiten außerhalb der schützenden Grenzen unseres Lagers. Es sind auch diese kleinen Situationen, welche den Einsatz geschulter Verbindungsoffiziere in Regionen von Krise und Krieg notwendig machen.

Später müssen wir erkennen, dass das Wort des Rebellengenerals „Tanginye“ vielleicht gut gemeint, aber ohne jede Wirkung war. Nach diesem Überfall und der Eroberung der Provinzhauptstadt, da waren die unter Drogen stehenden Jugendlichen der Nuer White Army ebenso wenig zu halten, wie die ausgezehrten und abgekämpften Rebellenkämpfer. Die in Krankenhaus und Kirchen schutzsuchenden Zivilisten, welche es nicht vermochten sich den siegestrunkenen und rachsüchtigen aufständischen Milizen durch panische Flucht zu entziehen, wurden gefoltert, vergewaltigt und niedergemetzelt. In sechs Monaten erlebte ich eine Vielzahl von Kämpfen und ganze sechs Mal wechselte die Provinzhauptstadt ihre Besatzer. Als ich ausflog, um nicht mehr in dieses Region zurückzukehren, da war der Krieg noch voll im Gange. Wer das mit- und überlebt hat, als Mensch dabei nicht verroht ist, der wird zum konsequenten Pazifisten und lehnt jede Form kriegerischer Auseinandersetzung ab.

Innerhalb wie außerhalb der Stadt werden zahllos Menschen getötet

Am Ende dieser drei Tage bin ich zurück in unserem menschenüberfüllten Lager. Meine norwegische Kameradin nehme ich für zwei Tage raus und weise sie an in ihrer Unterkunft zu bleiben. Sie bedarf der Selbstfürsorge und der Fürsorge von uns, ihren Freunden und Teamkameraden. Trotzdem streitet sie mit mir, macht mir Vorwürfe, weil sie weiter helfen und beschützen will. Diese zwei Tage Auszeit geben dieser tapferen, aufopferungsvollen Frau etwas Stabilität, aber längst nicht genug. Aus ihrem nächstmöglichen Heimflug kehrt sie nicht zurück. Das Verteidigungsministerium in Oslo verweigert ihr die weitere Teilnahme an unserem Einsatz. Schlussendlich trifft sie das in diesem Moment sehr hart, aber die Entscheidung ist richtig. Sie hat sich unglaublich verdient gemacht und Großartiges für die kriegsdrangsalierten Menschen in diesem afrikanischen Land geleistet.

Mein einziger deutscher Kamerad, ein junger und bis dato nicht als Verbindungsoffizier erfahrener Major, zeigt sich über alle Monate hinweg robust stabil. Dieses ist mein Eindruck und er täuscht. Jahre später meldet er sich bei mir, erzählt mir seine Geschichte – Die Erlebnisse verfolgen ihn traumatisch. Diese Konfrontation mit einem gewaltsamen Tod und die Bestialität, zu welcher Menschen fähig sind; all das war für ihn unerträglich. Seine ausgestrahlte Ruhe war kein Zeichen seiner Robustheit, es war ein psychischer Schockzustand, der ihm nicht einmal gestattete seine seelische Pein laut hinauszuschreien. Das Einsammeln verstümmelter, verwesender Leichen und deren Bestattung in Massengräbern haben sich als besonders schwere Albträume in ihm manifestiert. Er, ein junger, lebensfroher und aufstrebender Offizier, wurde innerhalb weniger Monate im Wesen völlig verändert. Ein halbes Jahr nach seiner Rückkehr reicht die Ehefrau die Scheidung ein, er fällt dienstlich ins Nichts und hat seine gesamte Leistungsstärke eingebüßt. Nur noch ein Schatten seiner selbst ruft er mich im Abstand etlicher Jahre an und braucht mich als Zeugen, weil die bundeswehreigenen Prüfinstanzen ihm seine partielle Dienstunfähigkeit offenbar nicht glauben. Aber nein, auch wenn es für Sachbearbeiter in Deutschland nicht nachvollziehbar und nicht nachempfindbar ist, dieser Mann hat in diesem Einsatz unglaublich viel verloren; seine Gesundheit, sein unbeschwertes Glück und seine Familie. Dabei hat er nichts anderes getan, als treu und gewissenhaft seine schwere Pflicht zu erfüllen.

Getötete Kombattanten werden eingesammelt, registriert und in Massengräbern bestattet

In diesem Moment weiß ich noch nicht, was meinen Gefährten widerfahren wird und wie seelisch angegriffen sie aus diesem Einsatz heimkehren werden. Jetzt suche ich nur einen Platz zum Alleinsein. Mein Team schaut auf mich, richtet sich an meinem starken Verhalten auf. Natürlich wissen sie, dass es mich gleichermaßen aufzehrt wie sie auch. Aber ich will vor ihnen keine Schwäche zeigen, sondern Vorbild sein und durchhalten. Es ist Trockenzeit; die Zeit, in der man hier Krieg führt. Vergleichsweise wenig Moskitos schwirren herum, aber die wenigen sind angezogen durch meine verschwitzte Haut und suchen sich dort hineinzubohren. Der Adrenalinspiegel fällt nun doch und ich erlaube der Erschöpfung Besitz von mir zu ergreifen. Wie wohltuend wäre jetzt ein warmer Sommerregen, der den Staub und den Schweiß von mir nimmt, den allgegenwärtigen Gestank des Todes wegspült und sanft auf die Erde fällt, so dass diese ihre sanften, wohlriechenden Düfte freisetzt. Für den Moment ist der rote Regen des Blutes abgeregnet und ich träume von leichter Unbeschwertheit; davon, dass ich die schweren, Sicherheit gebenden Stiefel ausziehen und barfuß in Frieden durch den heimischen Sommerregen laufen kann.

Weitere (Er)Lebenskapitel folgen irgendwann.

Abenddämmerung in Afrika

Uwe Rückert 4. Mai 2025 Allgemein

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